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Selbstliebe



Liebe ich mich wirklich selbst oder möchte ich andere dazu bringen, mich zu lieben? Gebe ich mir selbst Wert oder mache ich meinen Wert von der Sicht von anderen abhängig? Teile ich etwas Echtes von mir mit oder teile ich nur das mit, wovon ich denke, dass es anderen gefällt und ich damit nicht anecke?

Bevor ich anfing, mich selbst zu lieben, musste ich erstmal erkennen, dass ich mich unbewusst ablehne. Ich musste erstmal erkennen, dass ich mir nicht erlaube, echt zu sein. Die Maske, die ich angelegt hatte, saß so eng, dass ich lange dachte, dass die Maske mein echter Ausdruck sei. Nur die Gefühllosigkeit und die Leere in mir wiesen mich immer wieder darauf hin, dass etwas fehlt. Natürlich kann ich meinem Ego und anderen lange etwas vorspielen, das funktioniert auch in der Regel gut. Dazu kann ich dann regelmäßig meine Freunde “tauschen”, wenn die echten Freunde anfangen mir auf den Zahn zu fühlen und mir meine Masken spiegeln. Nur ändert das nichts daran, dass ich abgeschnitten bin von meinem echten Kern und meinem Authentizität. Flow kann ich simulieren oder künstlich herbeiführen durch Substanzen, spirituellen Bypass und anderen Sucht- und Kompensationsstrategien. Ich kann durchaus echt wirken. Nur aus einer Simulation heraus leben, erfüllt nicht wirklich. Es simuliert Fülle, Selbstliebe und Angebundenheit. Zudem ziehe ich unbewusst anderen Menschen Energie ab, wenn ich keinen Kontakt zu meinem echten Energiezentrum habe. Ich spiele Selbstsicherheit vor und strahle Bedürftigkeit aus. Wenn ich dann noch in einem Umfeld lebe, wo das gegenseitige Energie abziehen normal ist, dann fällt mir das auch gar nicht auf, dass mir was fehlt. Ich gewöhne mich dann an meinen Mangel. Das ist erstmal so wie es ist und darf erstmal so von mir erkannt werden.


Das Erkennen und Vordringen zu meiner echten Lebendigkeit, das Freisetzen meines echten Flows ist intensiv. Bis ich Selbstliebe echt leben kann, darf ich erstmal alle Abwehrmechanismen durchgehen, die sich über meinen verletzlichen Kern gelegt haben. Alle Abwehrmechanismen haben das gleiche Fundament: Scham. Sich zu schämen, wer ich bin.


Der Mechanismus, dass ich zu “nett” bin zu anderen und dabei nicht merke, dass ich manipuliere. Ich fordere unbewusst Aufmerksamkeit ein, durch Vorspielen von Nettigkeit. Der Mechanismus, dass ich meine innere Leere betäube, indem ich mir bewusst oder unbewusst Schmerz zufüge. Bewusster Schmerz, wenn meine Selbstablehnung und mein innerer Kritiker so überwältigend waren, dass ich meinen Kopf gegen die Wand gehauen habe oder mich geritzt habe. Unbewusster Schmerz, wenn zu viel gearbeitet habe, um dann gleichzeitig mit Substanzen zu kompensieren. Der Mechanismus, dass ich Kontakt vermeide. Damit fällt es ja nicht so auf, dass ich einsam bin und ich werde ja auch nicht drauf angesprochen. Oder der Mechanismus gar nichts mehr fühlen zu wollen, bis sich Hammerschläge von Suizid-Gedanken jede einzelene Sekunde in den Kopf hämmern. Über Stunden. Bis ich nicht mehr genau sagen kann, ob ich bereits wahnsinnnig geworden bin. Jene besagte Abwärtsspirale, wenn ich mich in der Identifizierung des inneren Kritikers verliere und mich an meinem Selbsthass berausche.


“Lass deinen falschen Glaubenssatz los, es nicht Wert zu sein". “Erlaube dir, authentisch zu sein.” "Akzeptiere dich so, wie du bist.” Klingt schön, oder? Kann ich mir auch so einreden oder andern erzählen. Verkauft sich bestimmt auch gut auf YouTube oder in Büchern. Nur was heißt das für mich in der Realität? Als ich Weiberfastnacht im artheater war und danach das Feedback geschrieben habe, bin ich durch das Tanzen und das Schreiben in Kontakt mit mir gekommen. Ich komme an meine Wunde der Verlassenheit. Genau darunter ist mein echtes Wesen, was leben will. Gleichzeitig wehrt sich brutal meine toxische Scham, mich so zu zeigen. Dieser sogenannte Glaubenssatz, es nicht Wert zu sein, ist nicht nur ein mentales Konzept, was ich mal eben wie einen Mantel ausziehen kann. Es ist etwas, was in meinem Körper in den Tiefen des Nervensystems gespeichert ist.

Ich schrecke aus dem Nichts heraus auf. Mein Körper krümmt sich ohne jegliche Vorankündigung in eine Schutzhaltung. Mein Hals bewegt sich wie ferngesteuert und verrenkt sich so, als würde eine Schlange in mir leben und wütend werden. Stöhn- und Fauchlaute kommen aus meinem Mund. Es wäre an sich eine gute Inspiration für jemanden, der vorhat einen Film über Exorzismus zu drehen. Wie klingt das? Soll ich diesen Teil jetzt weglassen, weil er unschön ist? Weil er - intim ist? Er ist mein Weg in die Selbstliebe. Der Prozess, wenn sich toxische Scham anfängt, körperlich zu lösen.


Vor einiger Zeit hätte ich mich für so ein Verhalten wahrscheinlich noch selbst verletzt oder gleich wieder übermäßig kompensiert. Ich habe rund zwei Jahrzehnte gebraucht, um aus der Gefühllosigkeit, wieder ins Fühlen zu kommen und echte Wut und Trauer zu fühlen. Gefühllosigkeit, die wie eine Steinmaske meine vitalen, echten Regungen unterdrückt hat. Dann die Phase, wo sich die toxische Scham körperlich löst. Diese Ticks und Verrenkungen habe ich seit Jahren.


Momentan schauen sich befreiende Lebendigkeit und vernichtende Scham in die Augen wie zwei Cowboys bei einem Schießduell im wilden Westen. Spannung. Ich habe lange gekämpft und wollte meine Scham abknallen. Bis ich gemerkt habe, dass dieser innere Kampf selbst wieder eine Vermeidung ist. Eine Verleugnung meiner inneren Teile. Beides gehört zu mir. Wenn ich kämpfe, dann kann ich meine Scham nicht würdigen inkl. der beiden Türsteher “Innerer Kritiker” und “Rebell”. Würdigen dafür, dass sie mir das Leben gerettet haben, das Trauma der Verlorenheit zu überleben. Ohne dieses Geschehen lassen der Freisetzung meiner Scham, kann ich nicht zu meinem authentischen Kern vordringen. Ich bleibe unbewusst bedürftig und renne dem Leben hinterher. Vorgestern hat sich mir ein weiterer Schlüsselmoment offenbart und der Moment wurde wieder unheimlich synchron vom Leben gespiegelt. Ich saß im Neptunbad im Cafe, habe ein Buch von Geistheiler Sananda gelesen und dann kam dieser Schreckmoment wieder aus dem Nichts. Mein Körper wollte sich verrenken und dann sagte eine innere Stimme in mir: “Bleibe bei dir! Bewege dich nicht! Mach keine Ausweichbewegung!” Die Verrenkung ist eingefroren und beim präsenten Spüren, was in mir lebendig explodieren wollte, erfuhr ich eine leichte körperliche Lösung. Eine Aussöhnung. Erst nach circa 10 Sekunden stellten sich meine Augen wieder scharf und ich bemerkte, dass ich die ganze Zeit auf ein Wort in einem Buch schaute:


Befreiung.


Meine Augen werden jetzt in diesem Moment glasig und ich bekomme Tränen. Aus Dankbarkeit.

Ich merke, dass das Leben selbst mich in die Echtheit führt. Dazu brauche ich in dem Sinne keine klassische Therapie, Seminare, Substanzen oder “Methoden”. Das waren für mich meistens nur weitere gut getarnte Vermeidungen ganz pur mit mir und dem Leben in Kontakt zu kommen. Und doch gehören diese Puzzleteile auf meinen Weg dazu. Es ist dieser paradoxe Weg im Leben. Zunächst muss ich den ersten Schritt machen, um beim Zweiten zu erkennen, dass der Erste nicht notwendig war. Aber nur scheinbar, sonst wäre ich nicht einen Schritt weiter. Mit meiner Bereitschaft, mich zu öffnen, ist das Leben, die Menschen und meine Freunde selbst die unmittelbarste “Therapie”. Natürlich kann ich das alles für mich behalten und das Geschriebene im Feuer verbrennen. Ich gehe dann aber auch dem Risiko aus dem Weg, abgelehnt zu werden. Nur sieht dann keiner meine Verletzlichkeit. Ich erfahre Integrität, wenn ich diesen Text einem Freund vorlese und es teile. Meine Wunde wird bezeugt. Mein Menschsein wird ganz angenommen von einem Menschen. Mich verwundbar zeigen befreit mich.

Das Bild habe ich einen Tag später gemalt und ich kann gar nicht genau sagen, wie ich es gemacht habe. Es hat sich auf eine Art alleine gemalt. Als es fertig war, kamen die Gedanken: “Habe ich das gemalt? Wo kommt das her? War ein Engel auf meiner Schulter und hat meine Hand geführt?”

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